Die Menschen im frühmittelalterlichen Norden mochten es, ihre Kleidungsstücke und Gegenstände zu verzieren. Besonders auffällig ist das bei den reichen Gräbern der Oberschicht; die Gräber von u.a. Oseberg, Mammen und nicht zuletzt Birka 3 weisen einen besonderen Reichtum auf, der uns durch besondere Umstände zum Teil erhalten ist.
Manches wird von heutigen Reenactoren mehr, manches etwas weniger oft aufgegriffen. An erster Stelle stehen wohl die schönen bunten Brettchenbänder, gefolgt von (dezenten bis pompösen) Stickereien, deren Verwendung durch den Mantelbesatz aus dem Mammen-Grab vielleicht besonders motiviert wird. Posamente aus Edelmetalldraht scheinen zunehmend Beachtung zu finden; zumindest die als Viking Knit
im Internet bekannten Ketten sind mittlerweile wohl sehr verbreitet. Dass der Schwerpunkt auf teurer Zierde aus mit Metalldraht und feinen Wollköpern sowie Seidenstoffen liegt, ist mit den Konservierungsumständen in den Gräbern zu erklären: Die meisten Textilien sind uns wegen der konservierenden Wirkung der Metalloxide erhalten, welchen sie deswegen ausgesetzt waren, weil die an Metallgegenständen wie Werkzeug (Eisen) und insbesondere Spangen und Schmuck (Bronze, Silber, Gold) lagen.
Die meisten Textilfunde liegen uns somit aus der wohlhabenden Oberschicht vor; einfachere Verzierungen sind vergleichsweise selten. Etwas schlichtere Arten der Verzierung finden wir jedoch zum Beispiel im Hafen von Haithabu. Dort wurde ein zweifarbiges Band aus sechs Fäden geflochten und auf die äußere Naht eines Abnehmers eines Hängerockes genäht 1 .
Auch in Birka sind Hängerockfragmente mit einfachen Schnüren als Zierde erhalten. Da die meisten Textilfragmente aus den (Frauen-)Gräbern von der Rückseite der Schalenbroschen stammen, liegen uns hauptsächlich Fragmente von der Oberkante des Hängerockes vor. Inga Hägg 2 beschrieb einfache Schnüre oder Kordeln als Saumverzierung der Hängeröcke in folgenden Gräbern:
Um herauszufinden, wie jene Zierschnüre aussahen und vielleicht hergestellt wurden, muss auf Agnes Geijers Werk Birka III – die Textilfunde aus den Gräbern zurückgegriffen werden 3
. In dem Kapitel Verschiedene Arbeiten aus Wollgarn beschreibt sie die verschiedenen Schnurtypen (mit dem Buchstaben D gekennzeichnet), deren diskrete, aber praktisch nicht nutzvolle Verwendung ihrer Meinung nach auf eine recht fortgeschrittene Schneiderkunst
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hindeutet.
deutlich aus mehreren Fäden geflochtenist 3 . Die Schnur des Types D 4 aus Bj 838 sei mit derselben Technik hergestellt.
oder möglicherweise mit Gabel3 . Die Schnur sei allerdings so dicht, dass die Technik nicht eindeutig bestimmt werden konnte. Hier wurde die Schnur wohl als Schlaufe an den Wollstoff genäht und lag um eine Spangennadel.
Geijers Vermerk zur Schnur vom Typ D 6 lässt die Verwendung eines Textilwerkzeuges namens Lucet erahnen. Das Prinzip ist dasselbe wie bei einer Strickliesel, nur dass sich statt mindestens vier Metallhaken wenige Zähne
am Oberrand befinden. Das Ergebnis ist eine im Querschnitt quadratische, feste und dennoch etwas elastische Schnur. Leider trifft diese Beschreibung keine der Schnüre aus den Birkagräbern. Bei einer Internetrecherche zu diesem Thema treten jedoch immer wieder Bilder von Lucets auf, die als Viking Lucets
betitelt wurden (von alten Knochenstücken mit gabelförmigem Ende bis zu modernen Modellen reichend); daher stellte sich die Frage, ob diese einfache Methode nicht doch zur Herstellung einer authentischen Zierschnur verwendet werden konnte.
In ihrem Artikel En gotländsk kvinnas dräkt: Kring ett textilfynd från vikingtiden
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beschreibt die Textilkonserviererin Kerstin Pettersson unter anderem zwei Schnüre von 1,5-2mm bzw. 3-4mm Dicke und quadratischem Querschnitt. Die feinere Schnur wurde in zwei der gefundenen Tierkopfspangen gefunden; womöglich wurden auf sie die Perlen aufgefädelt. Die gröbere befand sich in einem Nadelhäuschen. Beide Schnüre waren aus Wolle.
Die Autorin verweist auf vereinzelte kleine Fundstücke mit zwei oder drei Zähnen, die an anderer Stelle gefunden wurden und teilweise als Werkzeug zur Herstellung von Schnüren interpretiert wurden. Die Herstellungsweise sei identisch mit der Lucet-Technik. Nach einigen Versuchen stellt sie fest, dass auf diese Weise hergestellte Schnüre mit denen aus dem gotländischen Grab äußerlich übereinstimmen, wenn ein Werkzeug mit zwei Zähnen verwendet wurde. Wurden drei oder vier Zähne verwendet, wich das Ergebnis von den Fundstücken ab. Die Fundstücke auseinanderzunehmen, um der tatsächlichen Herstellungsweise auf die Spur zu kommen, sei wegen der Empfindlichkeit des Materials nicht möglich; deshalb besteht keine eindeutige Sicherheit bezüglich der Technik.
Selbst wenn die Verwendung einer Lucet oder eines ähnlichen Werkzeuges nicht eindeutig belegt werden kann, so scheint es dennoch möglich, auf diese Weise Schnüre herzustellen, die äußerlich mit Fundstücken aus der Wikingerzeit übereinstimmen. Die Form dieser Schnüre stimmt zwar nicht mit denen aus den Birkagräbern überein; es kann jedoch auch nicht ausgeschlossen werden, dass auch dort Schnüre mit dieser Technik hergestellt wurden. In einem Versuch mit einer dreigabeligen Lucet stellte sich heraus, dass so Schnüre entstehen können, die im Querschnitt annähernd dreieckig sind. Ob so hergestellte Schnüre ähnlich wie die Schnur D 6 aus Bj 466 aussieht, kann aufgrund der Bildqualität der entsprechenden Tafel in Birka III nicht erschlossen werden.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass zur Wikingerzeit einfache Schnüre in kontrastierenden Farben als dekoratives Element an der Frauenkleidung benutzt wurden. Zierschnüre, die zum Beispiel über eine Naht oder an die Kante eines Saumes genäht werden, stellen eine schlichte Alternative zu aufwendigeren Stickereien, Brettchenbändern und Posamenten dar und sind besonders für jene Re-enactor interessant, die eine einfache, nicht-adelige Darstellung anstreben. Zuweilen hatten die Schnüre auch eine praktische Bedeutung, zum Beispiel als Schlaufe um eine Spange oder als Perlenschnur. Eine Möglichkeit der Herstellung bestand durch die Nutzung eines gabelförmigen Werkzeuges mit zwei oder mehreren Zähnen, welches einer modernen Lucet oder einer einfachen Strickliesel stark ähnelt.