Die Entdeckung machte die Textil-Archäolgin Annika Larsson, während sie an der Rekonstruktion textiler Muster für die Ausstellung "Viking Couture" des Enköping Museums arbeitete. Gemäß Larsson ähnelten die Muster "nichts, was ihr jemals in Skandinavien begegnet war", aber nach einer Weile erinnerte sie sich, "ähnliche Muster [...] in Spanien auf maurischen Textilien" gesehen zu haben.
Ein immer wiederkehrendes Wort war der Name "Ali", der vierte Kaliph des Islam und dem Propheten Muhammad sehr nahe stehend. Ein zweiter Name, der mit dem ersten zusammen auftauchte, scheint "Allah" zu sein, allerdings in Spiegelschrift. Die Schrift scheint in mindestens 10 von fast 100 untersuchten Gräbern aufzutauchen. Sie ist in Seide und Silberfäden gearbeitet und kommen in Gräbern mit einer vergleichsweise hohen Menge an Seide vor. Larsson vermutet, dass dies auf islamische Einflüsse auf wikingerzeitliche Bestattungsriten hinwiese. Es handelt sich dabei keineswegs um die ersten Fälle kufischer Schrift aus wikingerzeitlichen Gräbern. In einem der Birka-Gräber war bereits in einem Frauengrab ein Silberring gefunden worden, der in seinem eingesetzten Edelstein die Worte "für Allah" in kufischer Schrift enthielt.
Jedoch werden derzeit Stimmen laut, die Larssons Interpretation anzweifeln. Stephennie Mulder, Professor mittelalterlicher islamischer Kunst und der Archäologie, behauptet, dass es sich bei den geometrischen Mustern nicht um kufische Schrift handele. Die Muster könnten allerhöchstens als Quadratkufi interpretiert werden, welche allerdings erst nach dem 15. Jahrhundert aufkam. Und selbst wenn es doch kufische Schrift sei, so würde auf den Bändern nicht "Allah" stehen. Stattdessen würde die Schrift keinen Sinn ergeben. Auch kritisiert sie Larssons Herangehensweise durch Extrapolation der gewebten Muster auf eine "bequeme" Weise, wodurch der Text auf "Erweiterungen eines Musters" beruhe, und nicht auf "existierenden Mustern".
Larssons Antwort klingt nach einer Argumentation auf Grundlage zweifelhafter "Beweise". Sie spricht von "geheimen Botschaften" und dass sie "mit Muslimen gesprochen" habe, die ihr erzählten, dass man "selbst heute Gottes Namen nicht immer [deutlich] aussprechen/schreiben/darstellen... möchte, also kann man es wie ein Rätsel machen, ihn sogar spiegeln." Sie glaubt, dass es "dies ist, was [die Wikinger] auf diesen Bändern getan haben".
Hier sind noch ein paar mehr News-Artikel zu dem Thema: BBC, archaeology news network und The New York Times.
Einige Gedanken dazu für den Reenactor
Falls Larssons Überlegungen stimmen, gibt es irgendwelche Konsequenzen für den Renactor? Nun, dies kommt zum Teil auf das Ergebnis der DNA-Analysen an, die an den Skeletten der in Frage kommenden Gräber durchgeführt werden. Hier sind einige Vorschläge für eine Herangehensweise:
Falls die Analyse ergebnislos bleibt (was hauptsächlich von dem Erhaltungszustand der aDNA (ancientDNA) abhängt) und die Herkunft jeder Toten unbekannt bleibt, sollte man die restlichen Beigaben der Gräber prüfen, die Literatur zu diesen zu Rate ziehen und dann eine relative Wahrscheinlichkeit der ethnischen Herkunft des jeweiligen Individuums definieren. Wenn das Ergebnis dieser Analyse mit der Person, die man darstellen möchte, übereinstimmt, kann man Elemente des Grabes, die Brettchenbänder mit den kufischen Lettern eingeschlossen, in unterschiedlichem Ausmaße übernehmen.
Falls das Ergebnis der DNA-Analyse eine skandinavische Herkunft nahe legt, könnten wir es mit Skandinaviern der Wikingerzeit mit einem weiten Kontaktnetz zu tun haben, die die Kleidung und vielleicht sogar einen Teil Islamischer Ideologie übernommen haben. Oder wir haben es mit wikingerzeitlichen Skandinaviern zu tun, die lediglich gewisse Elemente übernehmen und dabei vielleicht die Symbolik verstehen, vielleicht aber auch nicht. Auch hier sollte man Elemente entsprechend der dargestellten Person übernehmen. Falls die Gräber Menschen persischer/zentralasiatischer Herkunft beinhalteten, sollten Repliken dieser Bänder entweder sehr vorsichtig und in geringen Mengen verwendet werden, oder gar nicht.
Natürlich kann man immer einfach Dinge in seine Darstellung aufnehmen, die hübsch aussehen und dem Status der dargestellten Persönlichkeit ungefähr entsprechen. Viele von uns tun das. Doch sollte man auch immer die Unsicherheiten, soweit bekannt, die mit einer solchen Wahl einhergehen, im Hinterkopf behalten und immer anstreben, das historische Bild zu verbessern.
Noch eine Sache...
Das Beispiel der kufischen Gebete oder des nicht-kufischen Unfugs (je nachdem, welche Meinung man gerade bevorzugt) auf den Brettchenbändern lehrt uns etwas über die Neuigkeiten aus der Forschung, auf die wir uns verlassen: Erstens, die Wissenschaftler sind auch nur Menschen, die Wahrheit suchend und auf dem Weg dorthin manchmal Fehler machend. Es ist okay, alle neuen "Erkenntnisse" erst einmal zu hinterfragen - auf vernünftige Weise (genauso wie die eigenen Theorien und gängige Meinungen in der Living History-Szene ständig hinterfragt werden sollten). Zweitens, seid geduldig, besonders, wenn die Neuigkeiten besonderer und herausragender Natur sind. Es mag immer irgendwo eine Schwachstelle geben, die die Wissenschafts-Gemeinschaft noch nicht entdeckt hat. Die wahre Diskussion mag erst nach einer Weile beginnen. Und eine vernünftige Diskussion ist eines der wichtigsten Werkzeuge im Prozess der Wahrheitsfindung. Medienbrisanz vermag diese Diskussion gerne zu verzerren, darum lohnt es sich immer bei Bekanntwerden brisanter Neuigkeiten, so nah wie möglich an den Originalquellen dranzubleiben.
update 21. Oktober 2017
- gemäß Marijn van Putten (Geschichtliche Lunguistin) steht auf dem Silberring aus Birka nicht "für Allah". Link .
- Die Uppsala Universität erkennt, dass sie die Tatsache, dass Larssons Ergebnisse vorzeitiger Natur sind, besser hätten betonen sollen... Link (auf Schwedisch)
- In diesem Artikel sind einige quadratkufische Lettern auf spanischen Textilien abgebildet. Außerdem befindet sich am Ende des Artikels ein kurzer Absatz zur politischen Bedeutung des Themas.
update 28. Oktober 2017
- Stephennie Mulder hat einen Artikel veröffentlicht, in welchem sie ihre Argumente gegen das "Allah"-Brettchenband darlegt, ohne fünf Dutzend Twitter-Posts zu nutzen. Sie hat außerdem ein paar Anmerkungen dazu, was uns diese Geschichte über unsere derzeitige Medienlandschaft lehrt.