We're back - for a while... Nichts los oder was?

Were the Vikings Smoking Pot While Exploring Newfoundland? Were the Vikings getting high on cannabis in Newfoundland? Cannabis und Wikinger – wer war zuerst auf Neufundland? "Cannabis: schon wieder Wikinger wurden darauf high" (von bild.de). Artikel wie diese (und es gibt noch viele mehr) scheinen während unserer Abwesenheit in den Medien aufgetaucht zu sein. Von den Artikeln, die ich oben verlinkt habe, scheint der erste noch am meisten Informationen zu beinhalten. Owen Jarus, der Autor des Artikels, schreibt dort, dass die Archäologen während ihrer Untersuchungen in einem Moor bei L'anse aux Meadows eine ins frühe Mittelalter datierende Kulturschicht fanden, in der mehrere Pflanzen und Tiere, welche nicht aus Kanada, dafür aber aus Eurasien bekannt sind, nachweisen konnten. Dazu gehörte auch "Pollen von Juglans (Walnuss) und von Humulus (cannabis)". Dabei bezieht er sich auf "neue Forschung. heute (15. Juli) im Journal Proceedings of the National Academy of Science publiziert". Zudem zitiert er einen der Autoren des papers, Paul Ledger, scheint seine Hausaufgaben also gemacht und sich die Primärliteratur zu Gemüte geführt zu haben. Zusätzlich klärt er darüber auf, dass Cannabis-Pflanzen ja zu verschiedenen Zwecken benutzt werden könnten, wie z.B. zur "Herstellung von Kleidung oder für freizeitlich-medizinische Zwecke, während die Nordamerika erkundet haben". Weitere Meinungen von Forschern, die "nicht zu diesem Forschungs-Team gehörten", werden außerdem erwähnt.

Also... wieso ist denn dann mein Bullshit-Detektor angesprungen?

Immer schön skeptisch bleiben

Ja, mir ist der reißerische Titel aufgefallen. Und ja, auf der Webseite gibt es neben den Rubriken "Trending" (pfft), "Klimawandel", "Archäologie" und "Tartdigrades" (das sind Bärtierchen) außerdem die Rubrik "Aliens?" (?) (Bärtierchen sind allerdings ganz schön niedlich). Das reicht an sich schon, um skeptisch zu werden. Aber selbst wenn die Wahrscheinlichkeit recht hoch ist, dass der Artikel (bewusst?) irreführend ist, heißt es nicht unbedingt, dass er es auch ist. Wir sollten sicher gehen, dass er es auch wirklich ist, bevor wir ihm den bullshit-Stempel verpassen.

Da ich mal ein paar Sachen über Botanik gelernt habe, hat es nicht lange gedaurt, bis ich den Bullshit erkannte. Wie oben beschrieben, heißt es im livescience-Artikel. dass die Schicht aich "Pollen von [...] Humulus (cannabis)" enthielt. Wow, dachte ich, das ist mir neu. Ich dachte, Humulus sei der Gattungsname vom Hopfen, den wir in unserem Bier so sehr schätzen. Die Cannabis-Pflanze ist eine Schwesterart des Hopfen? Ich dachte, Cannabis sei eine eigene Gattung. Aber schau, das Wort "cannabis" im Artikel führt zu einem anderen livescience-Artikel, "Marijuana: Facts About Cannabis". Sicherlich wird diese scheinbar so nahe Verwandtschaft zwischen Hopfen und Cannabis hier erklärt? Stellt sich heraus: Nö. Nicht ein einziges Wort über Hopfen oder Humulus. Doch gemäß dieser nützlich-informativen Seite ist der Gattungsname von Cannabis, nun, Cannabis, nicht Humulus. Ja wat denn nu?!

Fragen wir mal Wikipedia. Gemäß diesem allwissenden Freund gibt es zwei bis drei Arten innderhalb der Gattung, welche zur Familie der Cannabaceae gehört. Interessanterweise gehört der Hopfen (Humulus) zu derselben Pflanzenfamilie. Encyclopedia of Life stimmt zu.

Für alle, die mit diesen biologischen begriffen nicht vertraut sind: Organismen werden auf Grundlage genetischer, morphologischer und verhaltensbiologischer Unterschiede von Biologen in verschiedene Kategorien eingeteilt. Eine natürliche Kategorie ist die Art: "Als Arten bezeichnet man Gruppen von Individuen, die durch Abstammungsbande zwischen Elter(n) und Nachkommen (Nachkommenschaft) gekennzeichnet sind [...] und in Gestalt, Physiologie und Verhalten soweit übereinstimmen, daß sie sich von anderen Individuengruppen abgrenzen lassen. Bei Organismen mit zweigeschlechtlicher Fortpflanzung kommt als entscheidendes Kriterium die Fähigkeit hinzu, gemeinsam fertile Nachkommen [...] zu erzeugen" (Quelle) Die nächste Kategorie wäre die Gattung. Die beiden Arten Cannabis sativa und Cannabis indica gehören z.B. beide zu derselben Gattung, Cannabis. Sie sind enger miteinander verwandt als beide jeweils zum Hopfen, Gattung Humulus. Der Hopfen und die beiden Cannabis-Arten gehören jedoch alle in dieselbe Kategorie der Cannabaceae, der Familie der Cannabisgewächse, da sie alle näher miteinander verwandt sind als z.B. mit der Tollkirsche (Atropa belladonna), welche widerum in noch eine andere Familie gehört (Solanaceae).

Nun... wieso reden wir denn überhaupt über Cannabis? Taucht das Wort im Original-Artikel auf und wie geht man dort mit dem Problem der kiffenden Kanada-Wikis um?

Quellen checken

Jeder gute News-Artikel sollte, wenn möglich, zur Primärquelle linken. Das tut der livescience-Artikel nicht, der linkt nur zu anderen livescience-Artikeln. Aber immerhin erwähnt er das Journal, in welchem der Original-Artikel veröffentlicht wurde, sowie einen der Autoren. Nach einer kurzen Internet-Recherche gelange ich auf die Seite des Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America, so ich eine pdf-Version des Original-papers finde. Nach kurzem Überfliegen des Textes fällt mir was Interessantes auf: Das Wort "Cannabis" taucht lediglich einmal auf: "[...] Exoten wie Juglans (Walnuss) und Humulus-Typus (Hopfen oder Cannabis) sind auch vorhanden" (Übersetzung und Hervorheben des Textes von mir). Aha! Es handelt sich also nur um einen Typ von Pollen, der entweder Hopfen oder Cannabis sein könnte. Später, im Diskussionsteil des Papers, ist sogar vom Humulus lupulus-Typus die Rede, man wird also noch spezifischer bzgl. des Hopfen (Humulus lupulus ist der wissenschaftliche Artname des Hopfen). Cannabis wird nicht mehr weiter erwähnt.

Aber worum geht es in dem Paper denn nun eigentlich? Nun... die Archäologen haben in einem Moor etwa 30m von den Nordischen Ruinen in L'anse aux Meadows entfernt gebuddelt. Dabei haben sie eine neue Kulturschicht mit sehr gut erhaltenen "ecofacts" gefunden, d.h. Holzkohle, Blätter und Zweige, andere verkohlte Pflanzenreste und Insekten. Einen Teil davon haben sie mitgenommen und analysiert. Dabei entdeckten sie Arten, die für den Ort typisch sind, und gebietsfremde Arten, wie z.B. die Pollen von Juglans und Typus Humulus sowie Käfer eurasischen Ursprungs. Zudem re-analysierten sie ältere Radiocarbon-Daten (und ließen ihre eigenen samples datieren). Das interessante Ergebnis dabei war, dass die Stätte gut 200 Jahre länger besiedelt wurde als bislang angenommen - auch wenn es nicht unbedingt eine kontinuierliche Besiedlung gab. Ob die neu entdeckte Kulturschicht von Wikingern oder Amerikanischen Ureinwohnern stammt, kann jedoch nicht mit Sicherheit beantwortet werden, da die exotischen Pollen auch mit dem Wind herübergetragen worden sein könnten. Auch ist die Bestimmung einer weiteren Eurasischen Pflanzenart (Rumex aquaticus) unsicher, da Rumex-Arten zur Hybridisirung neigen, was die Bestimmung enorm erschweren kann.

Fazit

Aber... wat is nu mit lässig aufm Wiki-Markt chillen, mit Joint in der Hand, alles ganz korrekt und authentisch? Tut mir Leid, aber... nope. Zumindest nicht auf Grundlage dieses papers. Es ging nie über kiffende Wikinger. Das ist bloß, was die medien draus gemacht haben, aufgrund einer kaum signifikanten Erwähnung im paper.

Manche Artikel haben es richtig gemacht. Leider interessiert sowas die Leute wenig, weshalb ein weiterer Artikel (neben diesem hier) die Sache wieder gerade biegen musste, aber ich fürchte, auch das kümmert die Leute kaum. Wie wir jedoch gesehen haben, ist es nicht so schwer, den bullshit in den Medien zu finden, selbst wenn es so wirkt als stützten sich die behauptungen auf tatsächliche wissenschaftliche Erkenntnisse. Also haltet die Augen für die Wahrheit offen, jederzeit, lasst euch für die Menschen, die etwas behaupten, die unangenehmsten (in dem Kontext noch vernünftigen) Fragen einfallen und vergesst nie, auch eure eigenen Überzeugungen immer wieder in Frage zu stellen.



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