Die ovalen Schalenspangen, auch Schildkrötenfibeln (,,tortoise brooches”) genannt, sind das charakteristische Accessoire der wikingerzeitlichen Frauentracht. Das Aussehen und der Umfang der Verwendung dieser Spangen variierte je nach Zeit, Alter und Stand der Trägerin und geographischer Lage.
Die ovalen Schalenspangen verbanden die langen Schulterschlaufen des Hängerockes mit den kleineren Schlaufen am Vorderteil 1 2 . Sie werden als so charakteristisch für die Wikingerzeit angesehen, dass Gräber mit Schalenspangen üblicherweise direkt als wikingerzeitliche Frauengräber identifiziert wurden, die je nach genauem Typ der Spange noch genauer datiert werden konnten 3 . In Birka wurden um die 320 ovale Schalenspangen gefunden, der Großteil (290 Stück) in den Gräbern. Einzelfunde liegen auch aus der Schwarzen Erde und aus dem Hafenbereich vor. In zwei oder drei Gräbern wurden an Stelle der Schalenspangen paarige Spangen anderen Types gefunden, wovon zwei Paare westeuropäischen Types sind, deren Verbindung zum Hängerock sich nicht sicher feststellen lässt 4 .
Es stellt sich schnell die Frage, wieso die Schlaufen des Hängerockes mit Spangen zusammengehalten wurden, wenn sie auch einfach an die Vorderseite des Kleidungsstückes genäht werden können. Tatsächlich sieht man auf diversen Wikingermärkten oft Hängeröcke mit angenähten Trägern (manchmal mit und manchmal ohne Spangen beliebigen Types, über der Naht durch den Stoff gestochen). Außerdem waren die bis weit über 10cm langen Spangen aus Bronze (oder anderen Kupferlegierungen), Silber oder gar Gold doch sicherlich sehr teuer. Hier lohnt sich ein Blick auf die Fundlage und die Überlegungen aus der Literatur.
Ein typischer Fundort der Schalenspangen sind Gräber (s. z.B. 4 1 2 ). Durch Vergleiche mit z.B. Textilfunden aus anderen Kontexten ist bekannt, dass die Menschen oft in ihren feinsten Kleidern bestattet wurden 5 . Manchmal wurde die Kleidung sogar extra für die Bestattung genäht. Je reicher die Grabesausstattung, desto reicher war wahrscheinlich die Bestattete bzw. ihre Familie. Die Ärmsten der Bevölkerung konnten sich den wertvollen Schmuck vermutlich nicht leisten. Genausowenig sollte aber davon ausgegangen werden, dass die Wohlbetuchten im Alltag so bekleidet und geschmückt waren, wie sie in die Erde gelegt wurden. Gut die Hälfte aller Birkagräber mit typisch weiblichen Grabbeigaben enthielten keine, und die mit Schalenspangen waren durchschnittlich reicher ausgestattet 3 . All dies weist darauf hin, dass diesen Schmuck nur Frauen eines höheren Standes besaßen. Im (nach-(?))wikingerzeitlichen Gedicht ,,Rígsþula” trägt Amma, die Frau eines freien Bauern, ,,dvergar á öxlum”, ,,Zwerge (gedeutet als Spangen) an den Schultern” 3 . Das mythologische Gedicht beschreibt drei Klassen der Wikingerzeit: Sklaven, Freie und Jarle 6 . Die Frau des freien Mannes ist die einzige, bei der die Spangen erwähnt werden. Diese spezielle Betonung mag ein Hinweis darauf sein, dass es sich um ein standspezifisches Accessoire handelte (für Argumente für und gegen diese These, vgl. Ewing (2007) 3 ); eine Verbindung zum Status der verheirateten Frau ist aber auch denkbar. Die Theorie der Schalenspangen als spezielles Schmuckstück verheirateter Frauen findet außerdem durch die unterschiedlichen Grabeslängen aus Birka Unterstützung, denn die An- oder Abwesenheit der Spangen scheint grob mit der Länge weiblicher Gräber zu korrelieren, wobei kürzere (=Kinder-)Gräber seltener Schalenspangen enthalten (jene kurze Gräber mit Schalenspangen wurden als die Gräber von Kinderbräuten gedeutet, längere Gräber ohne als die unverheirateter Frauen) 3 .
Neben der oben diskutierten Symbolfunktion wurden den Schalenspangen weitere Funktionen zugeschrieben. So wurde an die Vorderkante des Hängerockes eine kurze Schlaufe genäht und die Spange durch diese geführt, um mit der mehrere Millimeter dicken Nadel den häufig sehr feinen Stoff nicht direkt durchstechen zu müssen 2 . Weiterhin boten die Spangen die Möglichkeit, diverse Alltagsgegenstände und weiteren Schmuck zu befestigen. Vermutlich wurden Perlenketten sowie Hängeschmuck, Schlüssel, Messer und anderes kleines Werkzeug zwischen bzw. an die Spangen gehängt 7 . Womit die Perlen befestigt wurden, ist nicht immer sicher, doch die übrigen Gegenstände wurden mit Metallketten, Leinen- und Seidenbändern an die Spangennadeln gehängt 2 . Im Extremfall konnte das Gehänge samt Spangen bis zu zwei Kilogramm wiegen 7 . Inwieweit die frei sichtbare Aufbewahrung solcher Gegenstände tatsächlich einen Nutzen im Alltag hatte oder ob auch hier nicht doch eine Symbolfunktion überwiegt (Vorzeigen des Reichtums/Demonstration des Standes in der Familie/Gesellschaft), bleibt vermutlich noch ungeklärt.
Vor und während der Wikingerzeit wurden Schalenspangen verschiedener Stile verwendet 4 8 . Vor der Wikingerzeit waren Spangen vom Vendelzeit- und Übergangstyp häufig 4 . Sie waren etwas kleiner als die späteren Modelle 8 . In Birka II-1 werden von vier Spangen dieses Types die Längen angegeben (5.8cm, 8.6cm, 9.6cm und 7.9-8cm) 4 . Charakteristisch für diese Spangen war eine Ornamentik in Form von Linien, die ein geducktes Tier darstellten 8 . Neuere Analysen zeigen, dass auch während der Wikingerzeit ausnahmsweise noch Spangen vom Vendelzeit- und Übergangstyp bzw. Variationen dieser (ohne oder mit geringer stilistischer Mischung mit anderen Gruppen) getragen wurden 8 .
Wikingerzeitliche Spangen waren viel stärker skulpturiert als ihre Vorgänger 4 . Außerdem waren sie mit einer Normallänge von 10-12cm deutlich größer als frühere Spangen (generell lässt sich sagen, dass Schalenspangen während des 8. und 9. Jahrhunderts allmählich größer geworden sind 8 ). In Birka II-1 sind vier Spangen aus den Birkagräbern aufgelistet, die von dieser Normgröße abweichen (7-7.2cm Typ Birka, 8cm Typ P 55:2 (kürzer als normal weil ohne Borte), 6.9cm Typ Lundby, 8cm Typ Bj 1090) 4 . Allerdings weichen diese Spangen auch in anderen Aspekten von den üblichen ab, weswegen sie getrennt typisiert wurden. In den Birka-Gräbern gehören 87% zu lediglich fünf Typen; fast die Hälfte (48%) des gesamten Materials wird von einem einzigen Typ bestimmt. Dieser Typ, P51, stellt gemäß Jansson (1984) den im gesamten wikingisch beeinflussten Raum häufigsten Typ dar 4 (mit Ausnahme von Gotland, wo stattdessen tierkopfförmige Spangen in Gebrauch waren; in Finnland gehörten ovale Spangen zur Tracht, aber diese waren deutlich kleiner und flacher 3 ). Sindbæk (2011) erwähnt hingegen Typ P37 als ab der Mitte des 9. Jahrhunderts häufigsten Typ in ganz Skandinavien und darüber hinaus 8 . Neben den Typen P37 und P51 dominierte in Birka noch Typ P52.
Die Spangen des Birka-Materiales lassen sich grob in zwei Gruppen einteilen, nämlich eine ältere und eine jüngere. Die Schalenspangen der älteren Gruppe sind in der Regel als eine Schale gegossen und in Varianten des Broa- und Osebergstiles verziert, während die der jüngeren Gruppe doppenschalig sind und Verzierungen im Borrestil aufweisen.
Herstellungsort dieses Trachtendetails waren die Städte der Wikingerzeit, die sich in einem Netz von Handelswegen über Nordwest- und Osteuropa erstreckten. Die weite Verbreitung verschiedener Typen ohne klar erkennbare regionale Unterschiede gibt einen Hinweis darauf, wie wichtig diese Handelswege alleine schon für solcherlei Schmuck waren 8 . Doch auch wenn sich keine regionalen Muster bezüglich der Verbreitung der Typen auf Grundlage getragener Spangen (z.B. aus Gräbern) finden lässt, so gab es doch regionale Unterschiede in der Verbreitung der Herstellung diverser Typen. So wurden in Ribe (Dänemark) hauptsächlich Spangen des Berdal-Types (~8.-9. Jhd.), mit seinem charakteristischen Greiftier, hergestellt. Möglicherweise trifft dies auch auf Kaupang (Norwegen) zu, da in der Umgebung auffallend viele Spangen vom Berdal-Typ gefunden wurden. Auch in Birka wurde das Greiftier aufgenommen, allerdings trat hier bald eine Version mit bis zu neun Greiftieren in einem Gittermuster auf. Spangen des Berdal-Types und der Greiftier-Variation aus Birka waren üblicherweise zwischen 9.6 und 11.3cm lang. Einzelne Gussformenfragmente aus Haithabu weisen auf einen Typ hin, der weder in Ribe noch in Birka vorkommt.
Während archäologischer Untersuchungen in den 90er-Jahren wurde unter anderem eine Gusswerkstatt im Bereich der Schwarzen Erde (Birka) ausgegraben. Unter den 25000 Gussformfragmenten waren viele dabei, die auf eine Massenproduktion ovaler Schalenspangen in der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts hinweisen. Die meisten waren für Typen wie P27 und P37, aber auch andere Typen kamen vor. Die Gusstechnik gilt als sehr kompliziert und bestand aus mehreren Schritten.
Bilderquelle: Statens Historiska Museum (SHM) – http://mis.historiska.se/mis/sok/start.asp