Nachdem wir in Dänemark einen Monat lang fast durchgehend als Wikinger unterwegs waren und eine unglaubliche Stimmung (und unglaublich gute Marktorganisation!) erlebt hatten, war klar, dass alles weitere eher unter "Kleinkram" laufen würde. Der Diersfordter Markt ist zwar mit seinen 350 überwiegend hochkarätigen Aktiven eine durchaus beachtliche Veranstaltung und war letztes Jahr mit Sicherheit der Höhepunkt unserer Marktsaison, aber dieses Jahr waren die Vorbereitungen darauf von einem etwas unschönen Gefühl begleitet. Schuld daran war ein neu ausformuliertes Regelwerk, welches eher an eine amtliche Vorschriftensammlung erinnerte als an einen Apell an Vernunft und Eigenverantwortung der Darsteller, zusammen eine tolle Veranstaltung auf die Beine zu stellen (nur ein Beispiel: "Ausgestochene Grasnarben sind nach Veranstaltungsende wieder einzusetzen" statt "Ihr dürft für eure Feuerstellen Grasnarben ausstechen, aber setzt diese nach Veranstaltungsende bitte wieder zurück, um den Rasen des Veranstaltungsgeländes zu schonen; Feuerschalen können natürlich auch verwendet werden, wenn diese sich in das Ambiente einfügen"). Weiterhin eckte die gedankenpolizeiliche Forderung, dass alle Darsteller sich mit den Zielen der Aachener Erklärung einverstanden erklären, an. Wer einen offenen, ehrlichen und erwachsenen Umgang mit seinen Gästen pflegen möchte, schreibt ihnen besser nicht vor, wie die Inhalte ihrer Motivations- und Gedankenwelt auszusehen haben.
Glücklicherweise wird aber kein Brei so heiß gegessen, wie er gekocht wird und somit wurde der Markt selbst eine schöne Veranstaltung und alle Meckereien hinter den Kulissen sollen an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt werden, da die Marktorganisation unser Feedback bereits bekommen hat. Es war schön, alte Freunde wieder zu treffen und neue nette Menschen kennenzulernen, allen voran unsere direkten Nachbarn. Die Fachtagung am Freitag war trotz des Regenwetters zwar nicht überragend gut besucht, aber die Vortragsthemen ergaben eine ausgeglichene Themenmischung und insgesamt eine schöne Austauschmöglichkeit zwischen Akademia und Living-History-Amateuren. Gleichzeitig bot dieser erste regnerische Markttag einen ersten Test für unsere neue Woll-Zeltplane. Víl hatte in den Wochen zwischen Ribe und Diersfordt wie ein Besessener Randsäume und Liektau vernäht, da wir die alte Baumwoll-Lagerplane, welche uns in Dänemark abermals im Stich gelassen hatte, als zusätzliche Motivation rituell verbrannt hatten. Fazit: Die Plane ist dicht, das Klima im Wollzelt ist erhelblich angenehmer als unter Baumwolle oder Leinen. Die Plane war ein kleines Highlight für viele Besucher und Darsteller gleichermaßen.
Da ein Wochenendmarkt Anfang September noch nicht wirklich ein befriedigendes Saisonabschlusserlebnis ist, überlegten wir, uns doch noch kurzfristig zum Herbstfest in Adventon anzumelden. Ausschlaggebend für die Entscheidung war schlussendlich, dass von der HIKG-Kriegerschaft viele auch in Dänemark unterwegs waren und die Stimmung Abends das Jahr zuvor bereits recht "episch" war. Unsere Bedingung war, dass wir ohne Feuerschale und Stroh für unsere Matratze anreisen können sollten, was von Adventon-Seite aus kein Problem war. So schafften wir es tatsächlich, all unser Hab und Gut in allerfeinster Tetris-Manier in den Astra-Kombi von Ásas Eltern zu packen, die Stangen auf den Dachgepäckträger. So schafften wir die 370km in weniger als 4.5 Stunden Fahrt, statt der üblichen 6-7 Stunden. Leider bekamen wir wieder einen Platz am Ende der Welt, jenseits der Händlermeile und kurz vor ein paar GroWi-Lagern. Nächstes Jahr werden wir also wohl einen anderen Saisonabschlussmarkt suchen müssen, denn dieser Punk nervt und schon seit dem ersten Aufbau dort (auch ein Kompliment von der Orga wie "ihr habt das authentischste Lager auf der ganzen Wiese!" tut etwas weh, wenn man das einzige Lager auf der Wiese ist). Ansonsten enttäuschte die Veranstaltung nicht. Vom Kampftraining bekamen wir wenig mit, die Besucherzahlen waren in Ordnung und wir hatten von unserem Lager aus eine erstklassige Sicht auf die große Schlacht selbst. Abends war gefühlt weit weniger los als letztes Jahr, was mit daran gelegen haben mag, dass neben 25 Dänen und 3 Norwegern kein nennenswert internationales Publikum zugegen war. Dennoch gab es schöne Gesprächsrunden am zentralen Krieger-Lagerfeuer und der Samstagabend im Spießbürger sorgte ebenfalls für einen regen Austausch. Insgesamt war es relativ kalt, aber dank genügend Wollklamotten waren wir den Umständen gewachsen. Der immer wiederkehrende Sprühregen jedoch stellte sicher, dass wir am Sonntag nass einpacken durften und hier zeigte sich, wie schwer nasse Wolle werden kann. Alle Klamotten wieder ins Auto zu packen wurde zur Frustangelegenheit, aber am Ende passte doch alles wieder. Zu Hause angekommen dauerte das Trocknen der Zeltplane eine Woche, denn der Herbst war gekommen mitsamt seinem Wetter.
Summa summarum lässt sich sagen, dass dieses Jahr sehr ereignisreich war und insbesondere in Richtung Skandinavien viele tolle neue Perspektiven geöffnet hat. Immer mehr stellt sich ebenfalls heraus, dass man weit fahren muss um Leute kennenzulernen, die eigentlich hier "umme Ecke" wohnen. Sollten wir einmal eine gemeinsame Färbe- oder Möbelbauaktion (oder einfach nur einen Grillabend) zustande bringen, könnte das die nun einsetzende Winterpause bereichern. Zu tun gibt es natürlich genug. Ein paar Ideen, womit wir die nächsten Monate verbringen werden:
- Das Wollzelt fertig nähen: Aktuell handelt es sich bei dem Zelt um eine Segelplane, welche wir als Dreieckszelt aufspannen. Die einhängbaren Seitenteile müssen noch fertig genäht und der Giebelbereich mit einer Liek verstärkt werden.
- Ein neues Bett muss her, denn die Bettkonstruktion, die aktuell Teil unseres (noch-)Schlafzeltes ist, soll erst einmal nicht angefasst werden. Die Konstruktion an sich hat sich sehr gut bewährt und wird daher vermutlich wieder so Anwendung finden.
- Der große Tisch muss umgebaut werden, insbesondere der Unterbau. Wir werden uns wohl von den mittlerweile geschundenen und gerissenen Holzböcken verabschieden.
- Truhen: die Baumarkt-Leimholztruhen fallen inzwischen negativ auf. Wir werden sie sicherlich weiter benutzen, aber dann eher im Zelt im Hintergrund behalten und die eine oder andere neue sichtbare Truhe aus Eichen- oder Eschenholz bauen, deren Konstruktion näher an echte Funde angelehnt ist.
- Projekt "Up-Bling, Down-Bling": Wir möchten nächstes Jahr zumindest was unsere Gewandung betrifft zwei verschiedene Darstellungen weiterführen: eine prunkvollere, die aus einer raffinierteren Version unserer aktuellen Gewandung besteht (ggf. mit mehr Bling und Borte), sowie eine fortgeschrittene, also einfache Darstellung: vergleichsweise grobe, naturfarbene, handgewebte Wolle und keinen bzw. einfachen Schmuck. Víl hat seine neue Tunika (mit woller Wolle von Karaswind) bereits fertig genäht und hat noch eine Hose vor sich, Ása wird bald mit einem wintertauglichen Mantel und einem feinen Hängerock loslegen. Dieses Thema bietet bereits jetzt sehr viel Möglichekiten für umfassende Recherchen.
- Kämmen, spinnen, färben -- nächstes Jahr wollen wir schließlich mehr tolle Wolle im Angebot haben.
- Kämme bauen, Spindeln bauen, allerlei Schnitzerei: nächstes Jahr behalten wir unser Thema der Roh-Wollverarbeitung wohl bei. Víl wird mehr Textilverarbeitungswerkzeuge produzieren und hofft auf weiterhin lohnenswerte Tauschmöglichkeiten, z.B. gegen schöne handgewebte Stoffe.